Erinnere dich, wie stark du bist!

Was Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe alles können

Bekanntlich gibt es Bauteile aus Formgedächtnislegierungen, die beim Erwärmen eine programmierte Bewegung ausführen. Etwas entfernt Ähnliches können unsere Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe auch. Erwärmt man sie über das zulässige Maß hinaus, verlieren sie zwar wie alle Werkstoffe ihre Festigkeit. Aber nicht so schnell – und vor allem: nicht für immer. Sobald sie abkühlen, reparieren sie sich selbst. Die ursprüngliche Festigkeit stellt sich wieder ein. Das ist eine von vielen guten Eigenschaften dieser Werkstoffe. Wir nennen sie „Festigkeits-Memory“. Was Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe noch alles können, erfahren Sie hier.

Vorprodukt: Grünlinge aus CEP DISCUP®

Vom Grünling zum ganzen Kerl

Aber erst einmal müssen wir noch die Geschichte vom letzten Mal fertig erzählen. Sie erinnern sich vielleicht: Sie endete mit einem Pulver (besser: einem Granulat), das nach stundenlanger Verarbeitung eine stoffliche Verwandlung durchlaufen hat. Damit man damit aber etwas anfangen kann, muss aus dem Granulat noch ein fester Werkstoff werden.

Dafür gibt es mehrere Wege. Der klassische geht so: Man verbacke das Granulat zu einem lockeren Vorprodukt, den so genannten Grünling. Unser Bild zeigt einige solcher Grünlinge. Die zylindrische Form hat ihren Grund. Man muss das Vorprodukt in eine Presse einlegen können, die es unter riesiger Kraftanstrengung und mit Hilfe von Wärme durch eine Matrize mit definiert geformtem Querschnitt drückt. Angewandt wird hierfür das Verfahren des indirekten Strangpressens. Dabei entstehen weniger Reibungskräfte als beim direkten Strangpressen; die Umformung erfolgt schonend.

Es gibt wie gesagt noch weitere Möglichkeiten, das Granulat zum festen Werkstoff zu verarbeiten, aber darüber berichten wir ein anderes Mal.

Beim indirekten Strangpressen jedenfalls werden aus dem Grünling Stangen von rundem oder eckigem Querschnitt. Damit sind die Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe fertig. Sie besitzen nun jene ungewöhnlichen Eigenschaften, über die wir berichten wollen.

Weiterverarbeiten: kein Problem

Fangen wir dort an, wo es technologisch weitergeht: bei der Weiterverarbeitung der Halbzeuge zu fertigen Bauteilen. Im Gegensatz zu Kupfer und vielen klassischen Kupfer-Knetlegierungen (an die sie äußerlich immer noch erinnern – aber aufs Aussehen kommt es ja nicht an!), lassen sich Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe wie CEP DISCUP® problemlos zerspanen, also:

  • schneiden,
  • bohren,
  • drehen,
  • fräsen,
  • schleifen und
  • polieren.

Kein Schmieren, kein Verziehen. Gute Polierfähigkeit ist insofern ungewöhnlich, als ausscheidungsverfestigte Werkstoffe – wir erinnern uns, was das ist? – in diesem Punkt eigentlich nicht so gut sind. Die Ausscheidungen wirken bei ihnen wie Schmirgelpapier. Aber bei unseren Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffen sind sie so fein, dass sie es nicht tun. Ob dabei auch makelloser Hochglanz erzeugt werden kann, wie ihn beispielsweise die Strahlentechnik für hochtemperaturbeständige metallische Spiegel benötigt, müssen wir noch herausfinden.

Wegen des Festigkeits-Memory kann man die Werkstoffe im Gegensatz zu konventionellen Kupferwerkstoffen auch sehr gut hartlöten. Sprich: Es lassen sich Fügeverbindungen erzeugen, die in ihrer Haltbarkeit Schweißverbindungen nahe kommen! Gleiches gilt für die Warmumformung, also beispielsweise für das Biegen oder Schmieden.

All das können wir uns schon mal vormerken, wenn wir bei nächster Gelegenheit über konkrete Einsatzmöglichkeiten reden.

Worum es eigentlich geht

Worauf es dabei wirklich ankommt, sind indes die unmittelbaren Einsatzeigenschaften. Über die ungewöhnliche Festigkeit und die speziellen LT-Eigenschaften unserer Materialien, also über die ungewöhnliche Kombination von elektrischer beziehungsweise thermischer Leitfähigkeit und Temperaturbeständigkeit, haben wir kürzlich schon berichtet. Das zeichnet unsere Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe noch aus:

  • Sie sind ausgesprochen widerstandsfähig gegen abrasiven Verschleiß.
  • Beständig sind sie auch gegen Funkenerosion („Kontaktabbrand“).
  • Sie besitzen einen relativ hohen Elastizitätsmodul und damit ausgeprägte Federeigenschaften.
  • Und: keine Sprödigkeit, insbesondere auch bei tiefen Temperaturen und unter dem Einfluss ionisierender Strahlung nicht!

Werkstofftechniker dürfte all das sofort auf Ideen bringen, aber in dem Punkt bitten wir wie gesagt noch um etwas Geduld. Was aber unbedingt gesagt werden muss: Unsere Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe sind technisch bei weitem noch nicht ausgereizt. Vor allem aber sind sie noch nicht ausgeforscht. Wir entwickeln sie im Zuge ihrer praktischen Anwendungen weiter – „learning by doing“, wie es so schön heißt. Beinahe jede neue Anwendung geht mit detaillierter Praxisforschung einher und fördert dabei neue kleine Extras zutage.

Skelette im CERN

Ein Appetithäppchen für potentielle Anwender möchten wir zum Schluss trotzdem noch bringen. Vor einigen Jahren kam CEP DISCUP® zu einer ebenso unverhofften wie spektakulären Anwendung. Sie steht beispielhaft sowohl für das Eigenschaftsspektrum unserer Werkstoffe wie für den Erfolg, den die Experimentierfreude von Ingenieuren bewirken kann.

CERN, das in der Nähe von Genf befindliche weltgrößte Zyklotron, wollte in seinen Collidern neue, noch leistungsstärkere Elektromagnete installieren. Die Collider sind die Herzstücke der Anlage. In ihnen werden mittels gewaltiger Magnetkräfte auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigte Atomteilchen zur Kollision gebracht.

Schaltet man die zu Paketen gebündelten Elektromagnete ein, dann werden in Millisekunden gewaltige Kräfte freigesetzt. Damit die Magnetpakete bei dieser Beanspruchung nicht auseinanderfliegen, sind sie in eine Art Exoskelett eingezwängt. Es muss von Beginn der Herstellung der Magnetpakete an da sein und den gesamten Verarbeitungsprozess mitmachen. Dazu gehört auch kurzzeitige extreme Erwärmung. Festigkeits-Memory! Im späteren Einsatz hingegen kommt es auf „LT“ an, und zwar bei extrem niedrigen Temperaturen. Und ionisierende Strahlung ist in einem Teilchenbeschleuniger naturgemäß auch mit im Spiel. Konventionelle hochfeste Werkstoffe wie Stahl stießen bei diesem Beanspruchungsspektrum an ihre Grenzen. Wie CERN darauf kam, es mit unseren Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffen zu versuchen, wissen wir nicht. Aber dass dort Ingenieure arbeiten, die Bescheid wissen, darf man wohl annehmen. Fakt ist: Die neuen Magnete laufen seitdem in Korsetts, in denen auch CEP DISCUP® verarbeitet wurde.