Standhaft bei Strahlung

Auf dem Weg zum neutronenresistenten Kupfer-Hochtemperaturwerkstoff

Wie andere ODS-Werkstoffe auch, sind die Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe von CEP Freiberg Kandidaten für den künftigen Einsatz in der Kernfusion. Aber für diesen Zweck müssen sie erst noch ertüchtigt werden. Der erste Schritt ist nun getan. Fortan geht es um Optimierung. Nicht vergessen sollte man dabei: Die Kernfusion ist sicher der anspruchsvollste Einsatzfall für Werkstoffe in der Strahlentechnik. Was hier besteht, ist sehr wahrscheinlich auch qualifiziert für Anwendungen in der Elektronenstrahltechnik, der Medizintechnik oder in der Luft- und Raumfahrttechnik.

Ringbeschleuniger
Ringbeschleuniger: Auch in der Elektronenstrahltechnik sind strahlenbeständige Werkstoffe gefragt (Quelle: iStock, ratpack233)

Gut – bis auf die Aktivierung

Vor zwei Jahren berichteten wir in einem Beitrag davon, dass ein Kupfer-Hochtemperaturwerkstoff von CEP Freiberg im Divertor eines experimentellen Kernfusionsreaktors eingesetzt wurde. Der Werkstoff, also sein Gefüge und somit die Werkstoffeigenschaften, hätten die Beanspruchung erstaunlich gut überstanden, hieß es damals. Allerdings habe er anschließend erhöhte Strahlenwerte aufgewiesen, was nicht im Sinne der Sache sei. Eines der wichtigsten Versprechen des künftigen Fusionskraftwerks – darauf soll die Entwicklung ja hinauslaufen – besteht schließlich darin, dass es Energie ohne strahlende Abfälle produzieren soll. Die Ursache, so schloss der Beitrag, werde darin vermutet, dass die verwendeten Dispersoide „aktiviert“ worden seien, also radioaktive Isotope gebildet hätten. Angesichts des Baukasten-Charakters des Werkstoffs waren wir seinerzeit optimistisch, das Problem lösen zu können. Heute lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen: Ja, es wird funktionieren.

Unvergleichliche Beanspruchung

Um begreiflich zu machen, worum es hier geht, müssen wir etwas weiter ausholen. Wer ein Fusionskraftwerk bauen will, muss die Bauteile resistent gegen eine Beanspruchung machen, die mit keiner anderen zu vergleichen ist: eine Kombination aus intensiver Neutronenstrahlung und hoher Temperatur. Sie zerstört Werkstoffe in kürzester Zeit. Das auftretende komplexe Schädigungsbild wird zumeist „Werkstoffzerrüttung“ (degradation) genannt. Es handelt sich um einen Mix aus:

  • Entfestigung,
  • Versprödung und
  • Schwellen der Bauteile.

Die beiden erstgenannten Schädigungen entstehen durch strahleninduzierte Versetzungsbildung und -bewegung. Beides führt quasi zu einer Umsortierung und Vergröberung des Gefüges. Das Schwellen wird durch die Bildung radioaktiver gasförmiger Isotope im Werkstoffinneren verursacht. Sie lassen Hohlräume entstehen, und das führt zur Volumenvergrößerung. Hochfester Stahl und andere konventionelle Werkstoffe verwandeln sich auf diese Weise schnell in bröselige Substanzen. Unnötig zu sagen, dass die damit einhergehende Bruchgefahr diese Werkstoffe ungeeignet für den Einsatzzweck macht. Seit einigen Jahren weiß man, dass pulvermetallurgische ODS-Werkstoffe der Werkstoffzerrüttung weit besser widerstehen können als konventionell erzeugte. Das war auch der Grund, warum die Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe von CEP Freiberg – ODS-Kupfer also – im Versuchs-Kernfusionsreaktor ausprobiert wurden und sich dort recht gut halten konnten. Inzwischen werden auch andere ODS-Werkstoffe erprobt, Stähle beispielsweise.

Gut und schlecht zugleich: Aluminiumoxid

Die oben erwähnte Bildung fester radioaktiver Isotope durch im Werkstoff enthaltene, aktivierungsanfällige Elemente ist ein von der Werkstoffzerrüttung unabhängiges weiteres Phänomen. Es setzt dem Schadensbild quasi die Krone auf. Das Problem dabei: Gerade die Stoffe, die für jene feine Dispersoidstruktur sorgen, die der Werkstoffzerrüttung vorbeugt, können zugleich aktivierungsanfällig sein: die chemischen Elemente der als Dispersoide wirkenden Metalloxide. Welche Elemente wie reagieren, ist dabei nicht ganz trivial und logisch. Zumindest aber steht inzwischen fest: Das in den „normalen“ Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffen von CEP Freiberg eingesetzte Aluminiumoxid ist aktivierungsanfällig. Für den Einsatz unter Neutronenstrahlung muss es daher ersetzt werden. Inzwischen hat die Werkstoff-Forschung einige geeignete Ersatzoxide identifiziert. Derzeit aussichtsreichster Kandidat: Yttriumoxid.

Besser: Yttriumoxid

Yttriumoxid weist eine dem Aluminiumoxid verwandte chemische Struktur auf und bildet daher unter ähnlichen Rahmenbedingungen ebenso stabile feine und feinverteilte Dispersoide aus. Anders gesagt: Man kann das neue Oxid verwenden, ohne prozessual alles verändern zu müssen. Mit etwas Glück werden die Dispersoide sogar noch feiner. Darüber hinaus ist Yttriumoxid thermisch noch stabiler als Aluminiumoxid. Das heißt: Man kann davon ausgehen, dass auch der modifizierte Werkstoff als Ganzes eine mindestens so hohe Temperaturbeständigkeit aufweist wie der klassische. Was die anderen Eigenschaften angeht, so untersuchen wir sie gerade. Um aber noch einmal auf die Herstellung zurückzukommen: Bekanntlich gibt es mehrere Verfahren zur Erzeugung von ODS-Kupfer, und nicht jedes kommt mit Yttriumoxid gut zurecht. Das von CEP Freiberg, ein spezielles Verfahren des mechanischen Legierens, kann definitiv damit umgehen. (Wir sprechen hier nur von Herstellungsverfahren, die großtechnisch funktionieren. Im Laborversuch geht bekanntlich vieles.)

Ein erster Versuch

Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), eine der wichtigsten Adressen in Deutschland für Kernfusionsforschung, hat kürzlich die erste Version eines mit Yttriumoxid „legierten“ ODS-Kupfers von CEP Freiberg unter Quasi-Realbedingungen getestet. Das Material wurde im Testreaktor BR2 des Kernforschungszentrums in Mol (Belgien) bei Temperaturen zwischen 150 °C und 450 °C einer gemäßigten Neutronenstrahlung (Schädigungsrate: ca. 2,5 dpa) ausgesetzt. Zum Vergleich wurden Proben aus einer konventionellen Kupferlegierung vom Typ CuCrZrV getestet.

Auf dem richtigen Weg

Die kürzlich publizierten Versuchsergebnisse /1/ zeigen, dass die Dispersoidstrukturen des ODS-Kupfers stabiler geblieben waren als die – funktional ähnlichen – Ausscheidungsstrukturen im CuCrZrV. Das ist ein Hinweis auf die höhere Zerrüttungsresistenz des ODS-Kupfers. Außerdem, und das war die Hauptsache, hatte sich das Yttriumoxid tatsächlich nicht aktivieren lassen. Zugleich hat der Versuch aber gezeigt, dass noch Einiges zu tun ist, um einen wirklich neutronenresistenten Kupfer-Hochtemperaturwerkstoff zu erzeugen. Hohlräume waren entstanden und hatten die Proben schwellen lassen – ein Hinweis darauf, dass mindestens noch ein weiteres Element enthalten sein musste, das Sorge bereitet. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um Bor. Es ist bekannt dafür, dass es unter Neutronenstrahlung zu Helium zerfällt, also die oben erwähnten Gasblasen bildet. Aber auch dieses Problem wird gelöst werden, denn bekanntlich sind die Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe von CEP Freiberg ein „offenes System“ mit vielen Variationsmöglichkeiten.

Eintrittskarte in ein neues Anwendungsgebiet

Schon mehrfach berichteten wir an dieser Stelle über den Einsatz unserer Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe in Anlagen der Elektronenstrahl- oder Kerntechnik. Bisher waren sie aber nie mit einer unmittelbaren Exposition gegenüber der Strahlung verbunden. Das könnte sich bald ändern. Nachgewiesene Neutronenresistenz – sie dürfte eine Art Eintrittskarte für mögliche Anwendungen in genau diesem Bereich sein. Wie so oft, wird es auch hier zumeist um thermische, mitunter auch elektrische Leitfähigkeit unter extremen Bedingungen gehen. Der Einsatz im Fusionskraftwerk ist dabei die High-end-Zukunftsmusik; aktuell geht es um praktische Anwendungen in der Elektronenstrahltechnik, der Medizintechnik oder der Luft- und Raumfahrttechnik.

/1/

Michael Klimenkov, Carsten Bonnekoh, Ute Jaentsch et al.: Microstructure of CuCrZrV and ODS(Y2O3)-Cu Alloys After Neutron Irradiation at 150, 350, and 450 °C to 2.5 dpa.
Materials 2025, 18, 1401