Wärmetransport mit Erschwerniszuschlag

Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe im Kernfusionsreaktor

Viele knifflige Technologiefragen sind auf dem Weg zu einem praktisch nutzbaren Kernfusionsreaktor noch zu klären – darunter auch solche der Werkstoffauswahl. Es sieht danach aus, als ob Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe von CEP Freiberg hier eine Rolle spielen könnten. Womöglich sind sie nämlich die idealen Werkstoffe für den Wärmeabtransport an einer besonders heiklen Stelle im Kernfusionsreaktor, wo viele Werkstoffe schon allein deshalb versagen, weil sie der Neutronenstrahlung nicht standhalten.

Reaktorraum des Forschungs-Fusionsreaktors JET. Am Boden befindet sich der Divertor, eines der kritischsten Bauteile der Anlage (Quelle: UKAEA)

Ein besonderer Auftrag für CEP Freiberg

Seit mehr als vier Jahrzehnten schon arbeitet die Welt am Kernfusionsreaktor. Sollte die Entwicklung von Erfolg gekrönt sein, dann könnten Kernfusionskraftwerke künftig einen Teil der Energieversorgung der Welt übernehmen. Es wäre das Gegenteil klassischer Atomenergie: regenerativ, sicher und ohne ewig strahlende Abfälle.

Aber der Weg ist steinig. Der Forschungsreaktor ITER im südfranzösischen Cadarache, Baubeginn war 2013, soll eine Anlage werden, die schon relativ nahe an ein erstes Versuchskraftwerk heranreicht. Die halbe Welt ist an dem Projekt beteiligt: 35 Staaten, darunter die gesamte EU. Geplante Inbetriebnahme war 2035. Schon heute steht fest, dass der Zeitplan nicht zu halten ist. Es sind Technologiefragen zu klären, die sich so noch nie zuvor stellten.

Die Entwicklung geeigneter Werkstoffe zählt dazu. Beispielsweise ist die Frage der Wärmeableitung im so genannten Divertor klären, einem der thermisch am höchsten belasteteten Bauteile der Anlage. Daran arbeiten die Werkstoff-Fachleute des Karlsruher Instituts für Technologie, Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft (KIT). Sie hatten von den Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffen von CEP Freiberg und ihrer besonderen CT-Eigenschaft gehört. Hervorragend Wärme ableiten sollten sie können, ohne dabei selbst zu „zerfließen“. Gut und schön. Aber würden sie das auch tun, wenn sie gleichzeitig einem Dauerbeschuss durch Neutronenstrahlung ausgesetzt wären? Genau das nämlich ist im Kernfusionsreaktor der Fall. Um es vorwegzunehmen: Ja, es sieht so aus, als käme bei diesem Detail eine Lösung in Sicht. Nie zuvor waren die Werkstoffe von CEP Freiberg so harten Anforderungen ausgesetzt.

Machen wir es der Sonne nach

In einem Fusionsreaktor erfolgt die gesteuerte Kernfusion der beiden Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium. Als Reaktionsprodukte entstehen Helium-4 und Neutronenstrahlung. Ersteres ist Abfall. Letztere aber setzt eine enorme Bewegungsenergie frei, die man in der speziell konstruierten Reaktorbehausung in Wärme umwandeln kann. Sie lässt sich entweder direkt nutzen oder aber per Dampfturbine in Elektroenergie umwandeln.

Kernfusion ist das, was seit Jahrmilliarden im Sonneninneren passiert, mit bekanntem Effekt. Wer den Prozess auf der Erde nachgestalten will, muss zunächst mit hohem Energieaufwand ein Deuterium-Tritium-Gasplasma erzeugen: Es braucht 150 Mio Grad Celsius. Das geht tatsächlich, und wenn die Kernfusion beider Wasserstoff-Isotope gelingt, kommt in etwa das Zehnfache an Energie dabei heraus.

Weil kein Werkstoff diese Temperaturen aushält, muss das Plasma in einem Magnetfeld berührungslos im Reaktorinneren schweben und seine Energie gebändigt an das Gehäuse abgeben.

Die meisten der jetzigen Fusionsreaktoren – allesamt Versuchsanlagen – sind vom Typ Tokamak. Das heißt, ihr Reaktorraum hat die Form eines Hohlrings; das Plasma in ihnen nimmt folglich die Form eines Donuts an. Auch ITER wird ein Tokamak sein, und ebenso ist es sein wichtigster Vorläufer, der Versuchsreaktor JET im britischen Culham bei Oxford. Er wird von der britischen Atomenergie-Behörde UKAEA betrieben, aber international als Forschungsgerät genutzt. Im JET wird erprobt, was später im ITER sofort klappen soll. Verglichen mit jenem, ist er indes noch ein Zwerg:

  JET (2021) ITER (Plan)
Plasmaradius 2,96 m 6,20 m
Plasmavolumen 79 m³ 840 m³
Magnetfeldstärke 3,45 Tesla 5,3 Tesla

Quelle: JET DTE2 Background Information, EUROfusion

Schlüsselstelle Divertor

Unser Bild zeigt den Reaktorraum von JET. Direkt unter dem leuchtenden Plasmaring kann man sehen, worauf es uns hier und heute ankommt, ein rinnenförmiges Gebilde am Boden: der Divertor. Es ist jene Baugruppe, die dem superheißen Plasma am nächsten kommt. Aufgabe des Divertors ist es, für dessen ständige Reinigung zu sorgen. Hier wird in einem zweiten Magnetfeld die so genannte Fusionsasche abgeschieden: die Helium-Ionen sowie Verunreinigungen, die aus der Reaktorwand in das Plasma gelangen.

Die oberste Schicht des Divertors besteht aus Wolfram: die Prallplatten, auf welche die Ionen auftreffen. Sie halten etwas mehr als 3.000 °C aus. So heiß werden sie gar nicht. Aber die Wärme darf sich nicht an ihnen stauen, sondern sie muss schnellstens abtransportiert werden. Wolfram verträgt zwar Wärme, leitet sie aber schlecht. Die Kombination mit einem anderen Werkstoff ist also gefragt. Jetzt endlich kommen die Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe ins Spiel.

Nur Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe halten

Bis vor kurzem wurden die Prallplatten im JET zum Zweck der Wärmeableitung auf ein Trägergerüst aus aussscheidungsgehärtetem CuCrZr montiert, eine klassische Knetlegierung, auch als Elektrobronze bekannt. Es handelt sich um einen elektrischen Ersatzleiterwerkstoff für reines Kupfer in Fällen, wo zugleich Wärme im Spiel ist. Die aus der Schweißtechnik bekannten Stromkontaktdüsen sind so ein Fall. Allerdings geht die etwas verbesserte Temperaturbeständigkeit des Werkstoffs mit deutlichen Einbußen bei der Leitfähigkeit einher – sowohl der elektrischen wie auch der thermischen. CuCrZr ist also ein Kompromisswerkstoff. Bekanntlich halten Stromkontaktdüsen aus Kupfer-Hochemperaturwerkstoff denn auch deutlich länger als solche aus CuCrZr.

Und hier, als Wärmeableitungselemente im Fusionsreaktor? Unter den Prallplatten lagen die Temperaturen durchaus schon in der Komfortzone für die Elektrobronze. Doch was deren Gebrauchseigenschaften anging, konnte es noch deutlich besser werden. Die Neutronenstrahlung ließ das CuCrZr zum einen verspröden, sodass das Material zerbrechlich wurde. Zum anderen raubte sie ihm bis zu 80 Prozent seiner Festigkeit. Metallografische Untersuchungen ergaben, dass die Ausscheidungsstruktur völlig degradiert war. Die zuvor im Gefüge feinverteilten Ausscheidungen waren zu gröberen Strukturen koaguliert, wodurch sie ihre Funktion, Festigkeit und Zähigkeit des Werkstoffs gleichermaßen zu stärken, eingebüßt hatten.

Erste Versuche mit Trägergerüsten aus Kupfer-Hochtemperaturwerkstoff zeigten hingegen eine sigifikant höhere bessere Wärmeableitung. Auch hielt die Konstruktion nun deutlich länger – beides dank der einzigartigen Fähigkeit des Materials, Wärme sowohl gut zu leiten als auch sie dauerhaft zu ertragen (CT-Eigenschaft).

Zufrieden war man trotzdem noch nicht: Der Kupfer-Hochtemperaturwerkstoff wies nach dem Einsatz merkwürdig erhöhte Strahlenwerte auf. Die Untersuchung ergab, dass seine Ausscheidungsstruktur nach dem Einsatz insgesamt zwar noch recht gut erhalten geblieben war. Aber einige der als Ausscheidungsbildner enthaltenen Elemente hatten sich unter der Neutronenstrahlung in radioaktive Isotope verwandelt. Das sollte natürlich nicht sein! Nun wissen wir bereits, dass die Werkstoffe von CEP Freiberg „offene Systeme“ sind. Es gibt also auch Ersatzstoffe für die ungeeigneten Ausscheidungsbildner. Man muss sie nur ausprobieren. So arbeitet man sich nun von Version zu Version an die optimale Werkstoffzusammensetzung für die Trägergerüste in den Divertoren von JET heran. Inzwischen ist man bei Nummer zwölf angekommen. Die Lebensdauer steigt von Version zu Version.