Drehen am großen Rad

Voluminöse Halbzeuge und Bauteile aus Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffen

Sie hat fast 50 Zentimeter Durchmesser und ist einen Zentimeter dick – eine Rollnahtelektrode aus Kupfer-Hochtemperaturwerkstoff. Nach allem, was wir über dessen Herstellung wissen, sollten solche Abmessungen gar nicht gehen. Tun sie aber. Schon kürzlich hatten wir darauf hingewiesen, dass man, falls erforderlich, aus unseren Werkstoffen auch voluminöse Halbzeuge und Bauteile erzeugen kann. Heute berichten wir darüber.

Im HIP-Verfahren erzeugte große Elektrode aus CEP DISCUP®+Cu für das Rollennahtschweißen

Grenzen der Machbarkeit

Bisher redeten wir im Zusammenhang mit Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffen nur über verschiedene Strangpressverfahren – und damit über lange Halbzeuge von maximal 30 Millimeter Durchmesser oder Breite. Will man daraus großformatige Bauteile machen – beispielsweise eben Elektroden für das Rollennahtschweißen (landläufig: „Schweißräder“) –, dann stößt man an die Grenzen der Machbarkeit. Aber Not macht bekanntlich erfinderisch. Die Nachricht, dass CEP Freiberg langlebige Verbund-Stromkontaktdüsen für das Lichtbogenschweißen liefern kann, war auch zu den Anwendern des Rollennahtschweißens gedrungen. Dieses spezielle Verfahren des Widerstandsschweißens nutzt man beispielsweise bei der Herstellung geschweißter Rohre, wo es gilt, gebogene Bleche durch sehr lange Nähte in gleichbleibend hoher Qualität zu verbinden. Auch Schweißräder verschleißen zu schnell, und verglichen mit Stromkontaktdüsen, sind sie richtig teuer. Als wir gefragt wurden, ob wir liefern könnten, wussten wir: Mit den im eigenen Haus genutzten Strangpressverfahren (die unsere Leser inzwischen kennen) geht das nicht. Sie erlauben es einfach nicht, Halbzeuge in den geforderten Abmessungen herzustellen.

Zwei Möglichkeiten

Es gibt zwei statische Pressverfahren, mit denen sich größere und voluminösere Halbzeuge aus pulvermetallurgischen Werkstoffen erzeugen lassen:

  • heißisostatisches Pressen (HIP) und
  • kaltisostatisches Pressen (CIP).

Vom „CIPpen“ reden wir vielleicht später einmal; aus verschiedenen Gründen scheidet es für die meisten Anwendungen unserer Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe aus. Interessanter, weil ganz anders, ist das „HIPpen“. Es soll uns heute beschäftigen. Mit diesem Verfahren lassen sich große und kompakte Halbzeuge herstellen – sehr viel voluminöser als stranggepresste. Die Halbzeuge werden quasi als Einzelstücke und in einem Schritt erzeugt.

Druck von allen Seiten

So funktioniert es: Für das Halbzeug wird eine Hohlkapsel aus verschweißtem Stahlblech hergestellt, deren Konturen schon recht nahe an die final gewünschten heranreichen. Ihre Funktion erinnert ein wenig an eine verlorene Gießform, denn nach dem HIPpen muss sie entfernt werden und wird dabei zerstört. Die Kapsel ist rundum verschlossen, bis auf rohrförmige Einfüllstutzen oben, die dem Befüllen mit dem Metallpulver dienen. Über dieselben Stutzen wird anschließend die in der Kapsel verbliebene Luft abgesaugt. Die befüllte und evakuierte Kapsel wird nun verschlossen und in einen Druckbehälter (Autoklaven) eingesetzt. Dort wird sie bei einer hohen Temperatur – unterhalb des Schmelzpunkts des pulvermetallurgischen Werkstoffs – für längere Zeit allseitig einem sehr hohen Gasdruck ausgesetzt. Ihn zu erzeugen, verwendet man Argon, also chemisch inaktives Schutzgas. Das Metallpulver im Inneren verwandelt sich dabei durch plastische Verformung, Kriech- und Diffusionsprozesse allmählich in einen porenfrei dichten Festkörper. Der Volumenschwund beträgt allerdings bis zu 30 Prozent. Man muss ihn also bei der Auslegung der Kapsel berücksichtigen. Diese wird nach dem HIPpen aufgeschnitten und wandert in die Schrottkiste. Nur das Innere zählt jetzt noch. Den letzten Schritt zum fertigen Bauteil erledigt die maschinelle Bearbeitung.

Salamitaktik

Natürlich erfordert das HIPpen eine spezielle und große Fertigungsanlage, die man sich nicht leistet, wenn man sie nicht ständig auslasten kann. Auch erfordert das Erzeugen der Kapsel ingenieurtechnische Erfahrung und Know-how in der Blechbearbeitung. HIPpen ist deshalb eine Sache der Lohnfertigung bei einigen wenigen Spezialanbietern. Auch CEP Freiberg nimmt für großvolumige Teile solche Dienste in Anspruch. Den Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffen können die hohen HIP-Temperaturen nichts anhaben. Beim Abkühlen setzt bekanntlich das Festigkeits-Memory ein. Die Eigenschaften sind am Ende so wie die von stranggepresstem Werkstoff. Natürlich ist HIPpen auch nicht gerade billig. Aber wenn man ein Halbzeug entwirft, das sich in viele Endteil-Rohlinge zerlegen lässt, wird es dann doch effizient. So verhält es sich bei unseren Rollnahtelektroden: Das Halbzeug ist hier ein – ursprünglich – etwa ein Meter hoher Zylinder, von dem die Schweißrad-Rohlinge letztlich wie Salamischeiben geschnitten werden können.

This is hip

Aber die Schweißräder sind keine einfachen „HIPster“. Den Werkstoffverbund CEP DISCUP®+Cu vor Augen, der unsere Stromkontaktdüsen nicht nur haltbar, sondern auch effizient macht, wollten wir mehr. Das ganze Rad aus Kupfer-Hochtemperaturwerkstoff zu fertigen, wäre Verschwendung. Die LT-Eigenschaft braucht man nur außen. Also verfügt es, ähnlich wie ein Eisenbahnrad, nur über einen hochfesten Radreifen. Der Rest ist normales Kupfer. Das HIP-Verfahren ist ideal geeignet, das Vorhaben zu verwirklichen: In die zylindrische Hohlform wird zentrisch ein massiver Kupferzylinder gestellt, dann wird mit Pulver aus Kupfer-Hochtemperaturwerkstoff aufgefüllt. Der Rest ist bekannt. This is hip – um es mit John Lee Hooker auszudrücken.