Voll oder hohl sein, das ist hier die Frage

Über das Strangpressen von Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffen

Im Juni 2020 und im März hatten wir nebenher von den beiden Strangpressverfahren zur Herstellung unserer Halbzeuge berichtet. Wir dachten, damit sei es klar. Ist es aber wohl nicht. Warum macht ihr es so kompliziert? Das werden wir immer wieder gefragt. Nun denn. Hier wollen wir noch einmal sagen, welches Herstellungsverfahren wir für welches unserer Halbzeuge verwenden, und warum. Damit wir aber nicht nur Dinge, die wir schon einmal gesagt haben, mit anderen Worten wiederholen, gibt es zudem noch den CEP-üblichen Blick über den Tellerrand.

Fertige Blöcke fürs hydrostatische Strangpressen
Fertige Blöcke fürs hydrostatische Strangpressen

Mimosen eine Form geben

Mimosen sind Pflanzen, die empfindlich auf Berührung reagieren – sie klappen dann ihre Blätter zusammen. Deshalb sind sie zum Sinnbild für alle empfindlichen Lebewesen geworden. Wir können an dieser Stelle eine Nichtlebewesen-Art hinzufügen: unsere Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe. Die sind zwar äußerst robust, wenn sie fertig produziert sind und ihre Anwendung finden. In der Herstellung verhalten sie sich aber durchaus mimosenhaft. Als pulvermetallurgische Werkstoffe sind sie von einer komplizierteren inneren Struktur als „normale“ Metalle. Wir erinnern uns: Ausgangsprodukt ist ein Granulat. Dessen einzelne Partikel zu einer homogenen kompakten Form zu vereinen, zu Stangen also, das kostet Überredungskunst. Mit roher Gewalt geht es nicht. Im Inneren ist jedes Partikel aufgrund seiner auf Ausscheidungsverfestigung abzielenden Mikrolegierung noch einmal zusätzlich von komplexem Aufbau. Diese Mikrostruktur gilt es bei der Formgebung zu bewahren und ihre Eigenschaften zu entfalten. Sanfte Umformung ist also gefragt!

Zwei Verfahren, mit Aussicht auf ein drittes

Bekanntlich wendet CEP Freiberg zwei Strangpressverfahren an:

  • das indirekte Strangpressen und
  • das hydrostatische Strangpressen.

Beide zählen zu den diskontinuerlichen Verfahren. Sie arbeiten mit kompakten Vorprodukten. Jedes ergibt einen „Schuss“ und damit einen Strang von endlicher Länge – drei bis vier Meter, je nach Dicke. Wo es diskontinuierliches Strangpressen gibt, scheint es auch ein kontinuierliches zu geben, sonst wäre die Unterscheidung nicht sinnvoll. Kontinuierlich heißt: sehr langer Strang, quasi Endlosmaterial. Das hieße auf den Zwischenschritt des Vorprodukts zu verzichten und direkt vom kontinuierlich zugeführten Granulat zum gepressten Strang zu kommen. Geht das? In der Praxis nicht wirklich, werden einige Metallurgen jetzt sagen. Wir sagen: Es geht und versprechen auch, in Kürze davon zu berichten. An dieser spannenden Stelle setzen wir aber erst einmal dramaturgisch einen „Cliffhanger“ und kehren auf erforschtes Terrain zurück.

Vollmaterial indirekt

Wir erinnern uns: Zuerst wird hierzu aus dem Granulat ein Vorprodukt, der Grünling geformt, ein locker zusammengebackener zylindrischer Halbfestkörper von etwa Bierdosenformat. Ihn kann eine Strangpresse dann zum Endprodukt, dem festen Strang, umformen. Klassisches (direktes) Strangpressen von Metallen funktioniert ähnlich wie die Spritze beim Arzt. Ein Stempel drückt den durch Erwärmung plastizierten Grünling im Rezipienten durch die Matrize. Ein Strang entsteht. Beim indirekten Strangpressen wird im Gegensatz dazu der gefüllte Rezipient bewegt und gegen den feststehenden Stempel gedrückt. Das vermindert die Reibungskräfte zwischen Wandung und Werkstoffoberfläche und damit das Gefälle der Umformkräfte zwischen Oberfläche und Kern des Werkstoffs. Die Kräfte sind also besser verteilt, die Umformung findet schonender statt. Aus diesem Grund ist das indirekte Strangpressen das ideale Herstellungsverfahren für Stangen aus Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffen, also für Vollmaterial. Je nach Form der Matrize können die Stangen von zylindrischem, quadratischem oder auch flach-rechteckigem Querschnitt sein, Länge wie gesagt, drei bis vier Meter. Unsere Strangpresse ist vom Fabrikat Collin und arbeitet äußerst zuverlässig.

Rohre hydrostatisch

Für komplexe Verbundwerkstoff-Halbzeuge wie unsere Rohre aus CEP DISCUP®+Cu ist indes selbst das indirekte Strangpressen zu gewalttätig. Zu unterschiedlich sind die beiden Werkstoffkomponenten, die zusammengebracht werden müssen. Hier kommt das sanfteste aller Strangpressverfahren zum Einsatz, das hydrostatische. Dafür steht eine 1,2-MN-Horizontalstrangpresse Quintus von ASEA zur Verfügung. Aber es geht nicht nur um die Sanftheit. Metallformer wissen: Um Rohre erzeugen zu können, muss man mit bereits hohlen Vorprodukten arbeiten und beim Strangpressen in der Bohrung zusätzlich einen Dorn mitführen. Anlagentechnisch kann auch das nur unsere ASEA.

Erst Stunden, dann Sekunden

Das hier zu verarbeitende Vorprodukt ist kein locker geformter Grünling, sondern ein fester Block. Außen besteht er aus Reinkupfer – klassische Knetlegierung – und innen aus einem Kern aus fertigem Kupfer-Hochtemperaturwerkstoff. Der Kern hat also zuvor schon einmal die indirekte Strangpresse durchlaufen – Stangenmaterial aus dem eigenen Haus. Ausgangsprodukt ist ein massiver Kupferzylinder. Zunächst wird er aufgebohrt. In die Bohrung wird der Kern eingetrieben. Dieser wird seinerseits ebenfalls aufgebohrt. Wie gesagt, man will ja ein Rohr erzeugen. Dann kommt der Block auf die Drehmaschine, wo er seine Endform erhält, die ein wenig an eine Artilleriegranate erinnert. Dann wird er in die Presse gelegt. Die Herstellung der Blöcke dauert Stunden, das nachfolgende Strangpressen hingegen nur wenige Sekunden. Beim Umformen schwimmt der Block in einem Ölbett; die Umformkräfte werden also feinverteilt von einer Flüssigkeit auf den Werkstoff übertragen. Heraus kommen – je nach den Abmessungen von Matrize und Dorn – Verbundrohre unterschiedlichen Außen- und Innendurchmessers und von den üblichen drei bis vier Metern Länge.

Noch andere Mimosen

Empfindlich gegen Umformung sind aber nicht nur unsere Kupfer-Hochtemperaturwerkstoffe. Viele Speziallegierungen sind es sogar noch mehr, pulvermetallische ebenso wie klassische Knetlegierungen. Manche sind von Natur aus spröde, andere reagieren empfindlich auf hohe Umformtemperaturen. Auch geringe Wandstärken bei Hohlprofilen können ein Problem sein. Mit hydrostatischem Strangpressen, das – umformtechnisch gesprochen – ein hohes Strangpressverhältnis bei niedrigen Temperaturen erlaubt, kann man in vielen Fällen etwas bewirken, in denen klassische Umformtechniken versagen. Schon einige Male durfte CEP Freiberg deshalb Technologiehilfe für Dritte leisten. Wie gesagt, es gibt nur zwei solcher Anlagen überhaupt in ganz Europa.